Und nun stehe ich nach einem halben Bergsteigerleben – was man wohl sagen darf, wenn es gut läuft mit der Alpinistenkarriere – mit einigen nachträglich digitalisierten Aufnahmen von 1991 wieder auf dem Plattenjoch und kann den Zerfall „der dauernd vergletscherten Hochlagen“1 aus eigenem Erleben dokumentieren. Hier die Reste des Seegletschers, umgeben von Moränenschutt und losem Blockwerk, dort der ehemalige Jörigletscher, der nicht einmal mehr als Name auf der Landeskarte existiert, verschwunden wie viele der Bündner Kargletscher weiter im Süden. Für die Gruppe ist das Erlebnis Berg immer wieder ergreifend, heute wie damals. Welch glänzende Fernsicht, am Horizont unverkennbar die drei Nordwandpfeiler des Piz Palü! Fachkundige Handwerker haben die Hütten gekonnt modernisiert. Nichts knarzt, quietscht oder scheppert, in der Nacht herrscht durchgängige Ruhe. Sogar in der Chamanna da Grialetsch, Etappenort des „Swissclassic“2, bleibt trotz Vollbelegung alles in gewohnter Schweizer Ordnung.
Als wir am letzten Tag in Dürrboden im Dischmatal ankommen, ist meine Zeit als Tourenleiter definitiv zu Ende gegangen. Solch einen Ort habe ich mir für den Abschied vom Übungsleiter-, später Trainerdasein gewünscht: alle wohlbehalten, voller Eindrücke, dankbar und nachdenklich zugleich im Tal und immer noch über 2000 m hoch. P.S. An ganz wenigen Orten ist die Zeit – beinahe - spurlos vorbeigegangen. Wer die Seetalhütte des SAC besucht, wird außer wenigen neuzeitlichen Accessoires (PV-Modul, Sonnenmarkise!) kaum substanzielle Veränderungen feststellen. Unser Verhältnis zur Sonne hat sich schließlich auch gewandelt.
Bericht und Fotos: Jens Fröhlich
1 Alpenvereinsführer Silvrettagruppe, 9. Auflage 1981
2 1x jährlich stattfindender, kommerzieller Wanderevent von Hütte zu Hütte